Gipfeltreffen am Rätikon

03. Juli 2013

Exklusiv: Rolf Schmid, CEO der internationalen Top-Marke Mammut, und Bernd Kullmann, Geschäftsführer des weltweiten Rucksackimperiums Deuter, über die Zukunft der Outdoor-Industrie …

Auf der Carschinahütte in 2.236 Metern Höhe inmitten der Schweizer Gebirgsgruppe Rätikon saßen sie an einem Ecktisch wie zwei ganz normale Wanderer und ruhten sich aus. Der eine: Rolf Schmid, CEO der internationalen Top-Marke Mammut. Der andere: Bernd Kullmann, Geschäftsführer des weltweiten Rucksackimperiums Deuter. Zeit zum Plaudern. Privat, von früher und über die Zukunft – natürlich auch über die der Outdoor-Industrie …

outdoor.markt: Rolf Schmid, Bernd Kullmann – Sie haben beide kürzlich mit selektiven Vertriebsvereinbarungen Teile des Handels von der Belieferung ausgeschlossen. Ist die Gangart härter geworden zwischen Industrie und Handel?

Rolf Schmid: Wir wissen, dass wir Umsatz verlieren werden, aber das nehmen wir in Kauf. Mit der Sommerkollektion 2014, also der, die auf der OutDoor präsentiert wird, gilt: Wer kein autorisierter Partner ist, wird nicht bedient. Wir haben alle Händler informiert, auch jene, die unsere Bedingungen nicht erfüllen werden. Das sind nicht nur kleine Händler, sondern auch größere. Zalando präsentiert vielleicht das Produkt schön, aber es gibt keine Beratung. Und es gibt mittlerweile Internetshops, die sehr gut beraten. In erster
Linie müssen wir da glaubwürdig bleiben.

outdoor.markt: Heißt, der Trend geht weiter in Richtung Monomarken-Stores? Und die großen Händler kontern mit ihren Eigenmarken …

Bernd Kullmann (59).

Bernd Kullmann: Jede Seite muss das Geschäft vom anderen erst einmal lernen. Um als Hersteller in Retail einzusteigen, muss man überhaupt erst Store-fähig sein. Das sind wir zum Beispiel nicht. Von daher stellt sich für uns die Frage gar nicht. Und der Handel hat auch schon böse Bruchlandungen hingelegt mit seinen Eigenmarken. Wenn man mal fair ist, dann war es ja nicht die Industrie, die mit Monomarken-Stores angefangen hat: McKinley hat es schon gegeben, als Jack Wolfskin noch keine eigenen Läden gehabt hat.

Rolf Schmid: Ich kann nachvollziehen, dass ein großer Händler sich da eine zusätzliche Marge zu verschaffen versucht. Wir werden da mitunter missbraucht, um die Kunden anzuziehen. Ich habe ein gewisses Verständnis, so wie ich erwarte, dass die Händler Verständnis haben, wenn wir Monobrand-Stores oder E-Commerce machen. Wir nähern uns schließlich immer mehr an: Die Eigenmarken werden auch zu Marken. Und wir, die Marken, werden immer mehr zu Retailern. Irgendwo gibt es da den Punkt, an dem wir uns überschneiden.

outdoor.markt: Waren die Strukturen früger einfacher?

Bernd Kullmann: Ich habe jetzt 27 Jahre mitgemacht, und natürlich fand ich es insgesamt einfacher, als noch klare Verhältnisse da waren. Aber das ist eine müßige Diskussion: Ich denke, es ist schon so, wie Rolf es gesagt hat: Das Rad lässt sich nicht mehr zurückdrehen, und man sollte lieber schauen, dass man alles mit Maß und Verstand macht. Sonst wird es für einen klassischen Fachhändler irgendwann schwierig. Rolf Schmid: Das wird aber nicht passieren. Denn es gibt den Kunden, der sehr markenorientiert ist. Der geht in die Markenstores. Und es gibt die Leute, die sagen, mich interessiert die Marke gar nicht so stark, ich möchte lieber eine Auswahl haben. Der geht zum klassischen Fachhandel und lässt sich da beraten. Es wird immer zwei Typen von Kunden geben, also glaube ich auch nicht, dass der Fachhandel aussterben wird.

Bernd Kullmann: Ich denke, es wird schon eine Selektion geben im Handel. Die Unprofilierten, die meinen, auch noch Fußball verkaufen zu müssen, werden es schwer haben. Aber so kleine, feine Bergsportläden, die haben eine brillante Zukunft. Denn viele, und das wird auch die Mehrzahl bleiben, wollen eine Auswahl. Wenn ein Rucksackkunde reinkommt, selbst in Deutschland, wo wir einen extrem hohen Marktanteil haben, sagen die meisten: Ich will einen Rucksack! Die kommen nicht rein und sagen: Ich will einen The North Face oder einen Deuter. Das erlebe ich selber, wenn ich mal wieder in einem Laden stehe und mitverkaufe.

outdoor.markt: Die meisten Händler haben dafür aber doch jetzt schon kaum noch Platz!

Bernd Kullmann: Die alles haben, müssen entweder richtig groß sein – oder es wird sie in fünf Jahren nicht mehr geben.

Rolf Schmid (53).

Rolf Schmid: Die Händler müssen sich auf gewissen Segmente und Marken spezialisieren. Er hat viel mehr davon, wenn er ein vernünftiges Deuter-Sortiment hat statt zehn Marken und von allen ein bisschen. Das ist „Cherry picking“ – und ich glaube nicht, dass er sich damit etwas Gutes tut. Er muss ja auch Geld verdienen. Und wenn er 27 Marken hat, kommt er nirgendwo auf eine vernünftige Marge.

Bernd Kullmann: Ich hab mal zu einem gesagt: Glaub nur nicht, dass es von Kompetenz zeugt, wenn ihr zwölf Rucksackmarken im Katalog habt. Das zeugt von Inkompetenz und Ratlosigkeit! Ihr glaubt, ihr müsst alles reinnehmen, so dass ihr ja nichts falsch macht. Dabei müsst ihr die Kompetenz haben, für den Kunden die Vorauswahl zu treffen! Das ist doch die Aufgabe des Fachhändlers! Sonst kann ich auch in irgendeinen Webshop gehen …

outdoor.markt: Fast alle erwarten eine Stagnation im Markt. Was wären die Folgen?

Rolf Schmid: Es gibt sicher eine Bereinigung – im Handel noch schneller als bei den Herstellern. Bei den Marken sehen wir aber auch eine extreme Konsolidierung. Es wird immer mehr zusammengekauft. Es entstehen gigantische Gruppierungen – sehr oft nicht erfolgreich. Dann fallen sie wieder auseinander, und davon profitieren dann wieder die anderen drumherum. Alles hängt stark davon ab, wo man positioniert ist. Im mittleren Preisbereich, da wo sehr viele Marken sind, da wird Krieg geführt. Im oberen Preisbereich ist es sicherlich einfacher.

Bernd Kullmann: Mir haben Händler erzählt, dass sie jetzt schon minus 50 Prozent kriegen für aktuelle Sommerware, wo jetzt schon Druck drauf ist. Das ist einfach nicht gut, und ich glaube, es wird nötig sein, dass die Hersteller lernen, nur das zu produzieren, was sie auch ordentlich verkaufen können. Ich bin mehrfach erschrocken bei Prognosen, die Händler gegeben haben über ihre Entwicklung, auch Filialisten, und bei Prognosen, die Marken gegeben haben. Man muss doch auch überlegen, wo das herkommen soll! Wo willst du heute noch von 100 auf 500 Millionen wachsen?

outdoor.markt: Wo kann man denn heutzutage noch wachsen?

Rolf Schmid: Im sogenannten alten Europa ist das Wachstum nicht mehr so, wie es noch vor 30 Jahren war. Da ist eine gewisse Stagnation zu beobachten. Wenn das Wetter mal schlecht war, kann das sogar in einem Minus münden, der Trend liegt bei Wachstum, aber relativ langsam. International aufgestellte Unternehmen, wie wir es sind, haben natürlich große Chancen im Ausland, da ist noch ein Riesen-Potenzial. Die meisten Europäer sind in China schwach positioniert, da sind die Amerikaner besser. Aber in den USA tut sich was für uns Europäer! Die Amerikaner merken, dass nur ein The North Face oder Columbia mit der Zeit langweilig wird. Die suchen neue Marken! Das sind sehr positive Herausforderungen.

Bernd Kullmann: Wo wir mächtig gewachsen sind, ist Russland! Und die sind ehrgeizig! Das macht richtig Spaß, mit denen zu arbeiten!

Impressionen eines wundervollen Tages und Gruppenbild mit Dame (v. l. n. r.): Deuter-Geschäftsführer Bernd Kullmann, Handelsblatt-Journalist Joachim Hofer, Mammut-CEO Rolf Schmid, outdoor.markt-Chefredakteur Andreas Mayer und Bergführerin Elli Meyer (Brienzwiler).

outdoor.markt: Was ist mit Wachstum in der Breite? Wäre das der nächste Weg?

Rolf Schmid: Für uns nicht. Wenn man zu stark in die Breite geht, wird es nicht besser.

Bernd Kullmann: Da hab ich ja auch immer dagegen angekämpft. Wir haben ja schon das Dach unheimlich weit gebaut, wir sind in Daypacks eingestiegen, machen alleine im Lederwarenhandel damit 6 Mio. Euro Umsatz mit dieser Produktgruppe. Und da hatte ich auch jahrelang nicht dran geglaubt, und Angst, dass wir da unser Image irgendwie verwässern. Es gibt vielleicht noch ein bisschen was abzugrasen wie den Business-Bereich bei Rucksäcken, aber sonst?

Rolf Schmidt: Das passt vielleicht zu euch – ihr seid ein Rucksack- beziehungsweise ein Produkt-­Spezialist. Wir sind Bergsport-­Spezialist. Wenn wir als Bergsport-Spezialist städtische Produkte machen, dann sind wir im falschen Umfeld. Das schadet unserer Marke.

outdoor.markt: Wobei Mammut in der Stadt zur absoluten In-­Marke geworden ist …

Rolf Schmidt: Wenn jemand einen unserer Rucksäcke mit in die Stadt nimmt, habe ich nichts dagegen. Aber wenn wir Produkte machen würden für die Stadt, verlören wir unser Bergsport-Image. Was einfach nicht funktionieren wird, ist, dass alle das erreichen, wovon sie reden. Unsere Branche träumte immer davon, dass jeder seine 20 Prozent Wachstum pro Jahr hat. Doch dafür ist kein Platz.

outdoor.markt: Aber das war doch auch nicht immer so.

Rolf Schmid: Nein, aber man hat sich in den letzten zehn Jahren daran gewöhnt. Und die Leute, die nur dieses Umfeld kennen, haben jetzt Businesspläne, die nicht aufgehen. Das schlimmste war, dass die Krise von 2009 bei uns gar nicht angekommen ist. Alle haben geglaubt, sie kommt, haben die Produktion zurückgefahren, dabei war Outdoor gar nicht betroffen. Und dann gab es einen Nachholbedarf, und seither glauben die meisten, die Krise kommt gar nie. Sie glauben, dass die Outdoor-Industrie ein sicherer Hafen ist.

Bernd Kullmann: Wenn wir jetzt auf der Stelle dreimal ja sagen würden – bei Zalando, bei Amazon, bei E-Bay – hätten wir im nächsten Jahr drei Millionen Euro mehr Umsatz in Deutschland. Die Folgen aber wären fatal. Und genau das ist meine Sorge in der Branche: Genau die Leute, die nur diese Kurven miterlebt haben, nicht die lange Anlaufkurve, und die jetzt noch gar nicht realisiert haben, dass wir auf dem Weg zu einer deutlichen Verflachung sind, dass die irgendwo was kaputtmachen, indem sie vertriebspolitische Entscheidungen treffen, die den Marken schaden.

Rolf Schmid: Helly Hansen ist für mich da das typischste Beispiel, wie man in sehr kurzer Zeit alles falsch machen kann. Irgendwann in den 1990er Jahren hat eine Hip-Hop-Band Helly Hansen getragen. Die Firma war frisch verkauft worden an eine Investorengruppe, die gesagt hat: Das pushen wir jetzt! Hauptfehler war, dass sie den Vertrieb geändert haben. Sie haben die Jacken in die Läden reingetan, wo eben diese jungen Leute einkaufen. Somit haben die alten Kunden gesagt: Das ist nicht mehr meine Welt. Helly Hansen hat seine alten Kunden verloren, und die Hip-Hopper sind nach drei Jahren sowieso wieder weiter­gezogen.

Bernd Kullmann: Das war bei uns auch einer der Gründe für unsere selektive Vertriebsvereinbarung: Wir haben in Deutschland 3.800 Verkaufsstellen gehabt! Ich habe das gar nicht gewusst! Radhändler, Lederwarenhändler und natürlich Trekking und Outdoor. Wir haben das analysiert, auch vom Arbeitsaufwand her, haben natürlich ebenfalls Angst vor Umsatzein­bußen gehabt. Aber jetzt sind wir alle zufrieden.

Rolf Schmidt: Ich glaube, das muss jede Firma ab und zu mal  machen, so eine Bereinigung. Auch intern. Wir haben da zum Beispiel unsere Aktion „Leichter zum Gipfel“. Da geht es darum, dass wir alle bei Mammut einmal im Jahr unsere Büros und auch unsere Computer ausmisten …

Bernd Kullmann: Erfolg macht tolerant! Du musst eine Vision und klare Ziele haben. Mein ehemaliger Chef hat mal zu mir gesagt, er möchte nicht, dass bei Deuter nur Bergsteiger arbeiten. Weil ich als erstes zwei Bergführer reingeholt habe und dann Kanufahrer. Und dann hab ich zu ihm gesagt: Herr Frankl, wenn es gelingt, einen guten Sportler so zu motivieren, dass er so viel arbeitet wie für seinen Sport während seiner Karriere, dann haben wir super Mitarbeiter, die auch wirklich beißen können. Irgendwann war er so weit und hat gesagt: „Sie gehen doch immer in diese Kletter­halle. Können Sie da nicht mal einen Aushang machen?“

outdoor.markt: Es deutet sich in vielen Unternehmen der Branche ein Generationswechsel an. Gibt es eine Nachfolgeproblem?

Rolf Schmid: Nein, es gibt einen Wandel, aber wir haben kein Nachfolgeproblem. Wir haben eine Branche mit extrem vielen jungen Leuten, da gibt es sehr viele sehr kompetente Leute. Es gibt aber einen Wandel von diesem Unternehmer-geprägten Umfeld, wie wir es heute haben, von den Menschen, die ihre Unternehmen über Jahrzehnte hinweg geprägt haben, zu Managern, die von der amerikanischen Kultur geprägt sind, in internationalen Konzernen gearbeitet haben, für zwei Jahre da und dann wieder weg sind. Das führt zu einem schnelleren, kurzfristigeren Denken in der Branche. Das ist spürbar anders geworden. Bis jetzt hat man tatsächlich vieles quasi per Handschlag geregelt, man kannte sich, man hat darauf vertrauen können, dass die Kullmanns oder wie sie alle heißen die nächsten zehn Jahre dabei sind. Wo wir das auch sehr gut sehen ist bei der European Outdoor Group. Wir haben echte Mühe, Leute zum Beispiel für den Vorstand zu finden, von denen wir sagen können: Die sind schon einige Jahre in der Branche, und wir gehen davon aus, dass sie in dieser Eigenschaft und Funktion auch noch die nächsten drei oder vier Jahre in der Branche bleiben.

Bernd Kullmann: Die Branche hat ja massiv an Attraktivität gewonnen. Sie ist stark gewachsen, und es können heutzutage durchaus attraktive Gehälter gezahlt werden. Wir bekommen sehr viele Initiativbewerbungen, auch von Top-Führungskräften. Aber es geht ja keiner! Auch den ganzen Unternehmensberatern und Recruitern muss ich immer sagen: Wir sind kein guter Kunde! Wir bieten gute Arbeitsbedingungen, und man kann mittlerweile auch im Bekanntenkreis, ohne sich zu schämen, erzählen: Ich arbeite für Mammut, ich arbeite für Deuter. Immerhin ist es ist heute nicht mehr so, dass man gefragt wird: Was machen die denn eigentlich?

outdoor.markt: Herr Schmid, Herr Kullmann, wir danken für Ihre Zeit!

Aufgezeichnet von Andreas Mayer

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