Ein Plädoyer für frische Ideen

Gerd Bittl-Fröhlich kennt die Outdoor- und Sportbranche seit Jahrzehnten.   outdoor.markt hat mit dem Inhaber des E-Learning-Portals  Sportsella gesprochen – unter anderem darüber, was die Coronakrise für den Handel bedeutet – und wieso für stationäre Händler die Einrichtung eines Webshops kein Allheilmittel ist.

Wird der stationäre Handel der Verlierer sein?

Nein, ich glaube, er hat mehr denn je seine Bedeutung. Gerade dadurch, dass wir jetzt alle eingesperrt waren, merken wir doch deutlich, wie sehr wir das vermissen, durch die Fußgängerzone zu laufen und in die Shops hineinzugehen, dort die Produkte anzuschauen und mit jemandem zu reden. Aber der stationäre Handel muss das Feld des reinen Fachhandels verlassen, er muss neue Ideen anbieten, neue Konzepte. Ich habe direkt nach dem Lockdown einen Post in LinkedIn eingestellt und gefragt: „Will we ever open up the same stores that we locked down a couple of days ago?“ Und damit wollte ich genau auf diesen Punkt hinweisen. Die Resonanz war übrigens groß und vielfältig.

An welche Ideen denken Sie?

Hey, da ist ein weites Feld an Ideen: Shop-TV-Clips als tagesaktuelle Storys, Instagram-Aktionen, in der sich Kunden für den Laden stark machen – organisiert durch die Mitarbeiter, Drive-In für Sperrgüter, Home-Services, Chat-Kanal, Kinderaktionen, Sicherheitschecks, Fitnesschecks und Wettbewerbe, Aktionen draußen. Händler sollten auch dazu übergehen, den Kunden Beratungstermine anzubieten, sich Zeit einzuplanen. Das funktioniert echt gut, wie wir gehört haben. Wir selbst bieten dem Handel die Aktion ,myf1rst5‘, einen virtuellen 5-Kilometer-Lauf, an. Die ersten Tests sind gelaufen, die Serie am Start. Da können Sportgeschäfte als Partner einsteigen. (siehe Kasten rechts, d. Red.) Das waren mal ein paar einfache Beispiele. Es kommt aber grundsätzlich auf die persönliche Haltung, Einstellung und Wahrnehmung an. So gibt es zum Beispiel Händler, die von ,Gästen‘ statt von ,Kunden‘ sprechen. Das zeigt schon eine andere positive Denkweise in Bezug auf den Kunden. Es zielt auf einen anderen Service-Ansatz. Was viele noch nicht gesehen haben, ist, dass es bei der Vielfalt der Kommunikationskanäle heute ein Geschenk ist, wenn der Kunde den Laden betritt. Dann sollte ich als Verkäufer in der Lage sein, den Kunden mit allen Fähigkeiten, die ich erworben habe, abzuholen. Klar höre ich oft von den Leuten aus der Praxis, dass sie im Druck des alltäglichen Geschäfts viele Ideen nicht umsetzen können. Es beginnt mit der Entscheidung, etwas zu verändern, dann verändert es sich auch. Wir bereiten die Dinge in unserem Geiste vor. Denken Sie zum Beispiel an den ambitionierten Bergsteiger, der den Berg in Gedanken schon lange bestiegen hat, bevor er oben war – sonst käme er nie an.

Was kennzeichnet den Kunden aus Ihrer Sicht heutzutage?

Der Kunde kommt nicht in den Laden und sagt: ,Ich will soundsoviel Euro ausgeben für einen Rucksack mit diesen und jenen Features.‘ Er kommt rein und sagt: ,Sonntag, Tutzinger Hütte. Hab gehört, da gibt es einen tollen Kaffee. Taugen dafür die Schuhe?‘ Dann kommt es darauf an, dass der Verkäufer sich einlässt auf den Kunden. Vielleicht stellt er irgendwann beispielsweise die Frage: ,Gehen Sie allein? Kommt die Familie mit? Passt die Kondition? Haben Sie eine Trinkflasche?‘ Oder: ,Haben Sie einen Stock?‘ So bauen sich Beziehungen auf. Das nutzen  geschulte Verkäufer und solche, die dafür in gewissem Maße auch „geboren“ sind. Klar müssen wir im Verkauf natürlich immer wissen, was es technisch mit dem Produkt auf sich hat, und ein wenig Outdoor-Erfahrung schadet nicht, um richtig beraten zu können, aber zuhören ist wichtiger. Alles, was Herr Amazon und Herr Google nicht bieten, sucht der Kunde bei uns.

Sind Ihrem Eindruck nach viele auf dem Weg, die richtigen -Lehren aus der Coronakrise zu ziehen?

Ich habe bei vielen Gesprächen mit Händlern gehört, dass sie sich noch keine Gedanken darüber gemacht hatten, was sie jetzt, als sie die Geschäfte wieder aufsperren durften, ihren Kunden anbieten sollen. Andererseits gibt es auch sehr viele positive Beispiele von Händlern und Industrie, die die Zeichen der Zeit erkannt hatten und weiter ihren Weg gehen.

Die Coronakrise zeigt also, wer gut aufgestellt ist und wer nicht?

Ja, und sie ist eine Chance für Könner, wie ich gerne sage.

Zum Beispiel eine Chance, zu erkennen, dass man unbedingt einen Webshop braucht, falls man noch keinen hatte?

Wenn ein Shop vom Grundsatz, von seinem Konzept her nicht funktioniert, hilft es auch nicht, wenn der Händler einen Webshop aufmacht. Aber die Digitalisierung war noch nie der Gegner des Handels. Sie hat nur Dinge offenbar gemacht, die möglicherweise ohnehin schon im Argen lagen. Genauso ist es jetzt mit Corona: Jetzt kommen falsche Ansätze und Strukturen noch schneller zum Vorschein, die es schon vorher gab. Klar, manche versuchen gerne einen Schuldigen zu finden, indem sie auf den ,bösen Amazon‘ oder das ,böse E-Commerce‘ zeigen. Aber es hilft nicht, die Digitalisierung infrage zu stellen – die ist nicht aufzuhalten, ich beschäftige mich schließlich damit schon seit den Neunzigern. Umgekehrt, wie gesagt, wird sich auch kein Händler durch einen Webshop retten, der nicht als Laden ein gutes Konzept hat. Sich auf die eigene Positionierung und Partnerschaften zu fokussieren – darauf kommt es an. Dazu haben wir auf Sportsella einen Workshop für Entscheider bereitgestellt.

Das komplette Interview mit Gerd Bittl-Fröhlich lesen Sie im outdoor.markt 5/2020.

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