Schuhmarkt im Aufwind

21. September 2015

Die Outdoor-Branche muss Luft holen, der Markt ist ruhiger geworden, der große Aufschwung scheint erst mal vorüber zu sein. Nur im Schuhbereich läuft das Geschäft, die Umsätze steigen, die Nachfrage ist ungebremst. Vor allem Multifunktionsschuhe, also alltagstaugliche Schuhe mit Outdoor-Qualitäten, sind gefragt. Optimale Passform, Qualität aus Handarbeit und hochwertige Materialien kommen gut an. Der Outdoor-Schuhmarkt rückt langsam aus seiner Nische raus.

Es scheint, als sei zurzeit ein wenig die Luft raus in der Outdoor-Branche. Nach Jahren des starken Wachstums konnte die Branche ihren Umsatz im vergangenen Jahr nur leicht steigern, um insgesamt 1, 2 Prozent auf 4,83 Milliarden Euro. Das ergab jedenfalls das Marktforschungsprogramm  „State of Trade“ der European Outdoor Group (EOG). Laut EOG entspricht das einem Umsatz von rund 10,2 Milliarden Euro im Einzelhandel. Die größten Märkte sind nach Angaben der EOG Deutschland, Großbritannien, Irland und Frankreich, die alle ein Plus zwischen zwei und drei Prozent verzeichneten. Trotz dieser nur leichten Steigerung des Umsatzes ist die Outdoor-Branche der restlichen Modebranche in Sachen Wachstum immer noch um Längen voraus. Und auch wenn die fetten Jahre vorbei zu sein scheinen, ein Bereich wächst und wächst, sorgt für Umsatz und scheint sich auf ein Neues als „Retter“ und verlässliche Basis der Branche zu etablieren: der Schuhmarkt.

Wachstumsmotor

Dass Schuhe bei Frauen Freuden-schreie auslösen können, ist nicht erst seit dem „Schrei vor Glück“-Werbespot bekannt. Dass Schuhe aber auch im Outdoor-Handel und bei Outdoor-Herstellern Glücksgefühle auslösen können, klingt auf den ersten Blick gewöhnungsbedürftig. Ist aber durchaus begründet, denn Schuhe machen mittlerweile seit geraumer Zeit rund 25 Prozent des Umsatzes der Branche aus und sind auch laut EOG-State-of-Trade-Studie die Kategorie, die mit 2,8 Prozent am schnellsten gewachsen ist. Die Erklärung hierfür scheint recht simpel – Outdoor- und Funktionsschuhe sind nicht mehr nur exklusiv in den Bergen zu finden, sie laufen durch Fußgängerzonen, Innenstädte, Büros, sie sind quasi überall. Denn Outdoor-Schuhe sind nicht nur bequem und praktisch – wer will im Herbst schon ständig nasse Füße haben? –, mittlerweile sind sie auch modisch und bunt und ähneln teilweise den so beliebten Sneakern. Schuhe, vor allem die urbanen Multifunktionsschuhe, bieten der Branche also große Wachstumschancen.

Alltagsschuhe mit Outdoorqualität

Das hat die Industrie auch erkannt, schon seit ein paar Jahren bewegt sie sich weg vom klassischen Bergsportanspruch, weg vom Nischenmarkt, hin zum großen Straßenschuhmarkt. Es gibt nur noch wenige Hersteller, die keine komfortablen Multifunktionsschuhe anbieten. Diese Schuhe verbinden sozusagen Outdoor-Ausrüstung wie wasserabweisende Materialien und besonders bequeme Sohlen mit dem Schick des Alltags. Technisch sind die Schuhe jedoch im weniger anspruchsvollen Segment angesiedelt. Selbst Traditionsunternehmen wie Meindl oder Lowa bieten Modelle in diesem Segment an. Schuhe für den Alltag, zum Sightseeing und Shoppen mit dem Komfort von Outdoor-Schuhen.

Doch auch bei anspruchsvollen Bergschuhen hat sich das Design gewandelt. Vor allem im Bereich der Low-Cut-Schuhe, die in Farbe, Material und Form dem Stil von Turnschuhen oder klassischen Lederschuhen nachempfunden sind. Auch hier ist die Nachfrage ungebrochen, die Wünsche der Kunden und neue Einsatzbereiche wie beispielsweise das immer beliebter werdende Trailrunning bieten vielfältige Möglichkeiten, mit Neuerungen oder Verbesserungen in den Markt zu gehen. Genau diese neuen Bedarfsfelder locken neue Player auf den Markt. Skischuh-Hersteller Tecnica und Lauschuh-Hersteller Hoka One One haben angekündigt, in den Outdoor-Sektor, genauer gesagt in den Trailrunning-Sektor einzusteigen.

Anspruchsvolle Kunden

Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft. Es gilt also, sich von anderen abzusetzen, herauszustechen. Im Bereich Outdoor-Schuhe, so scheint es, bleibt da aber nicht so viel Spielraum, arbeitet der Großteil der Schuhhersteller mit den gleichen Ingredience Brands zusammen, nutzte also die gleichen Technologien, wie beispielsweise Vibram-Sohlen, Gore-Tex-Technologien oder Cordura-Materialien. Diese „Gleichheit“ in der Ausstattung schränkt allerdings nur auf den ersten Blick ein, in kaum einer Schuhbranche herrscht so wenig -Konformität wie in der Outdoor-Branche. Es gibt hier kein einheitliches Konzept, die Branche nutzt den Vorteil, vor allem im speziellen Kletter-, Zusteig- Trailrunningbereich, einen noch verhältnismäßig kleinen Markt zu bedienen. So kann das Produkt leichter an die Bedürfnisse und unterschiedlichen Ansprüche der Kunden angepasst werden. Schon vergangenes Jahr hat sich abgezeichnet, dass die Käufer nischiger geworden sind. Sie wissen, was sie wollen, kennen die eigenen Bedürfnisse und suchen die Schuhe dementsprechend aus.

Schön zu beobachten ist die Vielfalt der Angebote und Vorlieben der Käufer bei Trailrunning Schuhen. Es gibt sie in mannigfaltigen Ausführungen: mit dünner oder dicker Sohle, mit oder ohne Sprengung, hart oder barfuß. Die Auswahl ist so vielfältig wie der Sport selber, die Schuhe müssen einiges leisten können. Firmen wie Mammut, La Sportiva oder die beiden Marktneulinge Tecnica und Hoka One One setzen auf Schuhe mit fester und dicker Sohle. Dem gegenüber stehen die Schuhe von beispielsweise Merrell, Danyfit oder Quereinsteiger Haglöfs, die mit sehr dünnen Sohlen arbeiten und das Gefühl des direkten Bodenkontakts und des Barfußlaufens bieten. Gemein ist allen Herstellern nur, dass sie ihre Schuhe mit griffigen Sohlen von Vibram ausstatten. Alle bis auf Adidas – denn hier werden die Schuhe weiterhin mit von Reifenhersteller Continental ent-wickelten Sohlen ausgestattet.

Passende Form für jeden

Die Nachfrage im Outdoor-Schuhmarkt ist differenzierter geworden. Ideale Passform – auch für den nicht idealen Fuß – wird genauso vorausgesetzt wie die richtige Sohle und niedriges Gewicht. Diese Ansprüche werden von Outdoor-Herstellern besser bedient als im sonstigen Sportschuh-Bereich. Schon vergangenes Jahr legte der bayerische Schuhhersteller Hanwag mit seinen Bergschuhen für Menschen mit „Hallux Valgus“, einem Schiefstand der Großzehe, vor. Auf der OutDoor in Friedrichshafen stellte Hanwag nun seine ab Sommer 2016 in den Modellen „Tierra Mid GTX“ und „Tierra Low (GTX)“ verfügbares „NaturalFit“-Passform-Konzept vor, das ein Barfußgefühl mit sich bringen soll. Der neu entwickelte Leisten bildet den Fuß detailgetreu nach, Fußbett, Brand-, Zwischen- und Laufsohle sind anatomisch geformt. Der breit ausfallende Leisten bietet im Vorfußbereich viel Platz für die Zehen und ermöglicht eine Geradestellung der Großzehe. Das „Auf Kundenwünsche eingehen“ scheint ein wichtiger Motor der Outdoor-Schuhbranche zu sein. So hat Schuh-Spezialist Merrell eine Analyse seines Kundenstammes durchgeführt und drei Zielgruppen herausgearbeitet, auf die die künftigen Produkte zugeschnitten werden sollen. Dazu zählen die Aktiven, die die Wildnis suchen, die sportlichen Enthusiasten und quasi der Rest, der draußen Erfahrungen sammeln will und vor allem Spaß haben möchte. Merrell verbindet in -seinen Schuhen, die vor allem für die letzte der Zielgruppen gedacht ist, sportlichen Anspruch und Komfort zum Beispiel durch die bewährte UniFly-Mittelsohle. Hier kommen die Modelle „Capra Bolt“ und „Capra Rapid“ ins Spiel. Beide sind als Speed-Hiker gedacht, für Wanderer mit sportlichen Ambitionen.

Surround funktioniert

Auch vor einem Jahr vorgestellt, seit dem Frühjahr 2015 im Handel erhältlich, hat sich die Gore-Tex „Surround“-Technologie im Markt etabliert. 25 Hersteller weltweit, davon 13 Outdoor-Hersteller, verarbeiten die Technologie in ihren Schuhen. Sie bewirkt absolut wasserdichte und dennoch rundum atmungsaktive Schuhe. Feuchtigkeit und Wärme werden dabei nicht nur über eine luftdurchlässige Membran nach außen geleitet, sondern auch durch offene Flächen oder seitliche Öffnungen in der Sohle. Bei Gore-Tex-Surround-Wanderschuhen können sich die Hersteller dadurch bei der Wahl der Laufsohlen auf Merkmale wie Stabilität, Abrollverhalten, Grip und Schutz konzentrieren.

Dieses „Plus“ an Funktion ist für den Fachhandel ein schlagkräftiges Argument und sorgt für guten Abverkauf. „Mit unseren Schuhen mit der Gore-Surround-Technologie haben wir echte Renner entwickelt. Wir werden diesen Bereich 2016 ausbauen, denn unsere Kunden suchen leichte, komfortable und luftige Schuhe“, sagt Stefan Müller, Verkaufsleiter bei Meindl. Für 2016 ist ein neuer Schuh mit Gore-Surround-Technologie geplant: der „X-SO Wave“. Der Schuh, der sowohl für Herren und Damen erhältlich sein wird, ist ein gestrickter Leichtwander- und Multifunktionsschuh. Der Strick soll in Kombination mit einer nahtlosen Konstruktion im Vorderschuhbereich für höchste Flexibilität und Komfort sorgen. Geht es jedoch um die anspruchsvollen, echten Bergschuhe, bleibt Meindl in Bezug auf Klimaregulierung bei der eigenen „Air Revolution“-Technologie. Das Thema Komfort steht auch bei Meindl im Vordergrund, bereits seit einigen Jahren ist der Comfort-Fit-Leisten im Einsatz, der am Vorderfuß mehr Raum bietet.

Qualität wird gefordert

Auch bei Lowa setzt man auf die Gore-Surround-Technologie, hier jedoch im sogenannten Travelsegment, also bei den Sneakern, einem Segment, das im vergangenen Jahr starke Zuwächse verzeichnen konnte. Der Schuhhersteller aus Bayern konnte vor kurzem ein erneutes Rekordjahr vermelden und erwartet auch für 2015 ein deutliches Umsatzplus. Laut Verkaufsleiter Matthias Wanner ist der Erfolg von Lowa, und auch der Wachstum des Schuhbereiches innerhalb der Outdoor-Branche, auf die Nachfrage nach qualitativ hochwertigen Schuhen zurückzuführen. Wanner geht davon aus, dass diese positive Entwicklung so weiter gehen wird: „Die Nachfrage nach leichten, bequemen und funktionalen Schuhen für leichte Wanderungen, den Ausflug in den Biergarten und allgemeine Freizeitaktivitäten ist ungebrochen.“ Das die Schuhhersteller aus der Outdoor-Branche hochwertiges Schuhwerk herstellen, hat sich bei den Kunden und Interessenten rumgesprochen. In kaum einem anderen Schuhsegment finden sich so viele unterschiedliche, auf alle Fußformen angepasste Leisten wie im Outdoor-Bereich, da hier die Schuhe noch überwiegend in Handarbeit hergestellt werden und nicht industriell.

Made in Europe zahlt sich aus

Auf die Herstellung wird also Wert gelegt, Qualität in der Produktion zahlt sich aus. Doch nicht nur das. Einige Hersteller konnten stark davon profitieren, dass sie ihre Produktion entweder zum Teil oder ganz nach Europa verlegt haben. Durch Währungsschwankungen und -einbrüche und die Wechselkurse zum Beispiel in Asien wurden die Geschäftsergebnisse der dort produzierenden Hersteller belastet. Die Produktion in Euro-pa stellt sich somit schon fast als Wettbewerbsvorteil heraus, da Preisanpassungen umgangen werden konnten und die Kosten von der Euroschwäche kaum beeinflusst wurden. Davon profitierte nicht nur Lowa, sondern beispielsweise auch der italienische Hersteller Aku, der in Italien und Rumänien fertigen lässt, und der amerikanische Hersteller Keen. Die „European Made“-Strategie hat sich somit schon bezahlt gemacht. Das US-Unternehmen hatte Anfang des Jahres verkündet, Schuhe ausschließlich in Europa entwickeln und produzieren zu wollen, um auf dem hiesigen Markt stärker zu punkten. Die Schuhe sind an europäische Bedürfnisse angepasst, die Leisten sind schmaler, der Look verändert. Schon im vergangenen Jahr hat der Schuhhersteller mit seiner neuartigen Zweischnüren-Konstruktion der Outdoor-Sandale „Uneek“ für Wirbel gesorgt. Für dieses Jahr wurde der Schuh weiterentwickelt und konnte direkt eine OutDoor Industry Gold Award absahnen.

Outdoor profitiert von „Normcore“ 

Apropos Outdoor-Sandale. Galten sie bis vor kurzem noch als absolutes No-Go und vor allem bei der jüngeren Zielgruppe als Abbild der Spießigkeit, erlebt sie jetzt eine Art Revival. Veredelt mit knalligen Prints, Hightech-Materialien und Farbe findet man die Trekkingsandalen sogar auf den Laufstegen diverser Designer wieder. Und sie sind, trotz Style und modebewusster Form, durchaus geländetauglich, können mit Leichtwanderschuhen mithalten und bieten so mehr als gewöhnliche Flip-Flops oder Birkenstocks. In diesem Segment profitiert die Outdoor-Branche tatsächlich von einem Modetrend, dem „Normcore“-Trend, der seit Anfang des Jahres Einzug in den deutschen Kleiderschränken hält. Der Kleidungsstil ist hier betont lässig und normal, die Sandalen, seien es Birkenstocks oder Trekkingsandalen, gehören zum Stil und guten Ton, die Funktionalität der Kleidung wird betont, das „Normale“ und Unauffällige wird zelebriert.

Die Outdoor- oder Trekkingsandale ist somit ein Thema, bei dem gepunktet werden kann und das mittlerweile auch die Jüngeren erreicht. Dabei spielt vor allem das Design eine immer stärkere Rolle, die Schuhe sollen modisch sein, nicht zu „Öko“ aussehen, sich absetzen, aber auch nicht zu sehr auffallen und dabei trotzdem funktionell bleiben. Eine Herausforderung, der sich die Hersteller schon jetzt stellen und dies auch weiterhin tun müssen. Es gilt, neue Zielgruppen zu erschließen, sei es durch modische Designs oder Multifunktionsschuhe, die auch eine Verbundenheit zu einer Marke schaffen und neue Käufer locken. Kundenbindung funktioniert im Outdoor-Bereich vor allem durch Qualität und Flexibilität im Bezug auf Kundenwünsche. Die Vielfalt der Ansprüche, aber auch der Angebote stellen auch für den Handel eine Herausforderung dar. Beratungskompetenz, Fachwissen und eine große Bandbreite an Marken und Modellen locken die Kunden und können das Geschäft beleben.

Herausforderungen für die Zukunft

Für die Industrie ist auch für das kommende Jahr wichtig, weiterhin flexibel und vielfältig in der Entwicklung neuer Modelle zu sein. Die Entwicklung in Richtung Multifunktionsschuh hat sich jetzt schon bezahlt gemacht und kann eine weitere Wachstumschance für den Outdoor-Schuhmarkt sein. Ein Imageverlust sollte nicht zu erwarten sein, da der Bereich Outdoor sich seit einiger Zeit verstärkt in Richtung urban und Alltag bewegt. Diese Zielgruppe muss abgeholt und bedient werden. Wie auf der OutDoor in Friedrichshafen jedoch zu beobachten war, sind die Outdoor-Hersteller auf einem guten Weg dahin, fast alle haben mittlerweile die alltagstauglichen Schuhe in ihr Repertoire aufgenommen. Das Jahr 2015 wird ein Jahr der Chancen und Herausforderungen werden, die sich durch die stets wachsenden Ansprüche der Kunden, aber auch durch die weltweite Finanzlage und Schwankungen in den Wechselkursen ergeben. Der starke Schweizer Franken wird sich sicher negativ auf den Exportmarkt auswirken, dafür wird der schwache Euro in den Märkten USA und Kanada für Umsatzschwäche sorgen. Dem Schuhmarkt stehen interessante Zeiten bevor, der Ausblick in die Zukunft kann trotzdem entspannt getätigt werden, auch für 2016 werden Schuhe wohl Wachstumsmotor der Branche bleiben.

 

 

 

Comments are closed.